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WIE NEHMEN DIE PFLANZEN DAS LICHT WAHR?

Die Untersuchung einer mutierten Pflanze hat dazu beigetragen, aufzuzeigen, wie das Pflanzengewebe einfallendes Licht streut, so dass die Pflanze die Richtung der stärksten Lichtquelle erkennt und sich auf sie zubewegt.
Jools
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Wie nehmen die Pflanzen das Licht wahr?

Die Zimmerpflanzen, die auf der Fensterbank stehen, neigen ihre Stängel zum Fenster hin. Auf den Feldern bewegen sich die Blumen und ihre Blätter in Richtung der Sonne. In den Wäldern wachsen die Ranken der Bäume dem Licht entgegen. Bei den Pflanzen gibt es zahlreiche Belege dafür, dass diese Organismen Licht auch ohne Augenlicht wahrnehmen und ihr Verhalten entsprechend anpassen können. Der Phototropismus, also die Bewegung in Richtung einer Lichtquelle, fasziniert Wissenschaftler schon lange. Und in den vergangenen 150 Jahren einschlägiger Forschung haben Experten eine Reihe wichtiger molekularer Wege aufgedeckt, die mit der Lichtwahrnehmung und damit verbundenen Aktivitäten in Pflanzen zusammenhängen.

Eine entscheidende Frage bleibt jedoch unbeantwortet. Tiere benutzen ihre Augen - ein komplexes Organ, das aus einer Linse und Fotorezeptoren besteht - um sich ein detailliertes Bild von der Welt um sie herum zu machen, einschließlich der Richtung des Lichts. Pflanzen verfügen über ein leistungsfähiges molekulares Instrumentarium zur Messung des Lichts. Es war jedoch immer noch unklar, wie die Pflanzen in Ermangelung offensichtlicher physischer Sinnesorgane wie Linsen genau erkennen können, aus welcher Richtung das Licht kommt.

Ein europäisches Forscherteam fand kürzlich die Antwort. In einer Studie, die in Science veröffentlicht wurde, berichten sie, dass Studien des Lieblings der Pflanzengenetiker, der Ackerschmalwand , zeigen, dass Pflanzen Luftspalten zwischen ihren Zellen nutzen, um Licht zu streuen und so den Weg des Lichts durch ihr Gewebe zu verändern. Diese Luftkanäle erzeugen einen Lichtgradienten, der den Pflanzenorganismen hilft zu erkennen, woher das Licht kommt.

Mit diesem Trick machen Pflanzen separate Organe wie das Auge überflüssig und können tatsächlich mit ihrem ganzen Körper "sehen".

Tiefgreifende Debatte

Warum und wie sich Pflanzen am Licht orientieren, ist seit mehr als 2000 Jahren Gegenstand heftiger Debatten. Frühe griechische Philosophen vertraten die Ansicht, dass Pflanzen wie Tiere zur Wahrnehmung und Bewegung fähig sind und sogar Wünsche und Intelligenz haben können. Spätere Denker wie Aristoteles vertraten jedoch die Ansicht, dass Pflanzen von Natur aus passiv sind und ihre Umgebung nicht wahrnehmen, geschweige denn sich darin bewegen können. Spätere Wissenschaftler neigten dazu, dieser Ansicht zuzustimmen.

Der Phototropismus wurde erst 1658 von dem Alchemisten und Naturphilosophen Thomas Browne beschrieben, der detailliert dokumentierte, wie Senfkeimlinge, die in seinem Keller wuchsen, ihr Wachstum beharrlich auf ein offenes Fenster ausrichteten. Mehr als zwei Jahrhunderte lang diskutierten die Biologen darüber, wie Pflanzen dies tun und ob sie tatsächlich auf Licht oder Wärme reagieren.

Charles Darwin und sein Sohn Francis führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Experimente zu einem phototropen Mechanismus durch, den sie schließlich nachweisen konnten. In ihrem 1880 veröffentlichten Buch The Power of Movement in Plants beschrieben sie, was sie beobachtet hatten, als sie dunkel gewachsene Sämlinge beobachteten, die noch nicht zur Photosynthese fähig waren. Wenn die Pflanzen mit blauem Licht aus einer bestimmten Richtung bestrahlt wurden, richteten sie sich nach der Lichtquelle aus. So wie Darwins Licht sich im Raum bewegte, folgten die Pflanzen seinem Weg.

Auf der Grundlage ihrer Experimente stellten Darwin und sein Team die Hypothese auf, dass Pflanzen an der Spitze des Triebs am empfindlichsten auf Licht reagieren und dass, wenn sie dort etwas wahrnehmen, dies zur Produktion einer Substanz führt, die die Wachstumsrichtung der Pflanze beeinflusst. In den 1920er Jahren waren sich die Botaniker einig, dass dies tatsächlich die richtige Richtung sein könnte, und dieses Modell wurde weiter entwickelt:

Pflanzen haben Lichtsensoren an der Triebspitze und produzieren Hormone (später als Auxine identifiziert), die die Pflanze dazu bringen, mehr auf der Schattenseite zu wachsen, so dass sich ihre Stängel und Blätter dem Licht zuwenden.

Wie viele große Entdeckungen warf auch diese Entdeckung neue Fragen auf: Wie nehmen Pflanzen das Licht wahr? Sie haben keine offensichtlichen Sinnesorgane. Die Forscher begannen zu vermuten, dass Pflanzen über hoch entwickelte sensorische Fähigkeiten verfügen müssen.

Molekularbiologen haben inzwischen gezeigt, dass Pflanzen ein viel breiteres Lichtspektrum wahrnehmen können als beispielsweise wir oder andere Tiere. Fünf verschiedene Familien von Photorezeptoren sowie eine Vielzahl von Hormonen und Signalwegen arbeiten zusammen, um bis auf die Zellebene zu bestimmen, in welche Richtung eine Pflanze neues Gewebe bildet. Diese Photorezeptoren sind im gesamten Pflanzenkörper vorhanden, aber besonders zahlreich im inneren Gewebe des Stängels, sagt Christian Fankhauser, Pflanzenbiologe an der Universität Lausanne, Schweiz, einer der Autoren der Studie, die die neuen Ergebnisse präsentiert.

Einfache Sensoren allein würden jedoch nicht ausreichen, um Pflanzen in die Lage zu versetzen, die Richtung des Lichts zu bestimmen. Die Pflanze muss auch die von verschiedenen Photorezeptoren erfassten Signale vergleichen, um ihr Wachstum auf die stärkste Lichtquelle auszurichten. Dazu muss die Pflanze in der Lage sein, das einfallende Licht anhand seiner Intensität zu erkennen.

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Tiere haben dieses Problem durch die Entwicklung von Sehorganen gelöst. Einfachere Arten, wie z. B. Plattwürmer, haben Augenhöhlen anstelle von Augen, die nur das Vorhandensein oder Fehlen von Licht erkennen. Komplexere Tieraugen, wie die unseren, haben eine Linse, die das Licht auf die Netzhaut lenkt, die aus lichtempfindlichen Zellen besteht. Das Gehirn vergleicht dann die Lichtmenge, die durch die Linse kommt, mit der Menge, die von den einzelnen Zellen erfasst wird. Dieses System, bei dem die physikalische Manipulation von Licht mit molekularen Sensoren kombiniert wird, ermöglicht die Erkennung feiner Abstufungen (oder Gradienten) von Licht und Schatten und deren Auflösung in das Bild, das wir als Sehen bezeichnen.

Da Pflanzen jedoch kein Gehirn haben, benötigen sie ein passives System, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen, da ein aktiver Vergleich nicht möglich ist. An diesem Punkt sahen sich die Botaniker mit einem rätselhaften Problem konfrontiert. Ist der Phototropismus ausschließlich ein molekularer Prozess, wie einige vermutet haben, oder können Pflanzen Lichtstrahlen verändern, um Gradienten zu erzeugen und ihre Reaktionen besser zu steuern? Wenn Letzteres zutrifft, dann müssen Pflanzen über physische Strukturen verfügen, die es ihnen ermöglichen, das Licht zu manipulieren.

Diese Strukturen wurden schließlich in einer mutierten Version einer Unkrautpflanze identifiziert, die Schwierigkeiten hatte, Licht zu finden.

Die blinde Mutante

Ein beliebtes Unkraut der Pflanzenwissenschaftler, das bereits erwähnte Unkrautgras, ist äußerlich nicht besonders attraktiv. Mit einer Höhe von 25 Zentimetern bevorzugt es gestörte Böden wie Feld- und Straßenränder. Ursprünglich aus Afrika und Eurasien stammend, ist es heute auf allen Kontinenten außer der Antarktis zu finden. Aufgrund ihres kurzen Lebenszyklus, ihrer Anspruchslosigkeit, ihres kleinen Genoms und ihrer Neigung, im Labor nützliche Mutationen zu erzeugen, ist sie bei Forschern sehr beliebt und eignet sich daher hervorragend als Modellorganismus für das Verständnis von Pflanzenwachstum und Genetik.

Seit 1995 experimentiert Fankhauser mit dem Milchkraut, um zu untersuchen, wie Licht das Pflanzenwachstum beeinflusst. Im Jahr 2016 suchte sein Labor zu diesem Zweck nach Mutanten, die ungewöhnlich auf Licht reagieren. Die Samen wurden in einem dunklen Raum gekeimt und mit blauem Licht beleuchtet. Das Experiment funktionierte ähnlich wie das von Darwin vor 150 Jahren: Als die Forscher die Richtung des Lichts änderten, richteten sich die Pflanzen entsprechend aus.

Eine Pflanze hatte jedoch ein Problem: Sie war nicht in der Lage, der Lichtquelle zu folgen. Stattdessen krümmte sie sich in alle Richtungen, als ob sie blind im Dunkeln tappen würde. Mit der Lichtwahrnehmung der mutierten Pflanze stimmte offensichtlich etwas nicht. Als das Team das fragliche Exemplar untersuchte, stellte es fest, dass es über die üblichen Photorezeptoren verfügte, so die Pflanzenbiologin Martina Legris, Postdoktorandin in Fankhausers Labor und Mitautorin der neuen Studie. Doch als das Team den Stängel unter dem Mikroskop untersuchte, fiel ihnen etwas Seltsames auf.

Wie die meisten Pflanzen haben auch die Stängel des wilden Milchkrauts Luftkanäle zwischen den Zellen. Diese spielen bekanntermaßen eine wichtige Rolle bei der Photosynthese und der Sauerstoffversorgung der Zellen. Bei der fraglichen Mutante waren die Luftkanäle jedoch mit Flüssigkeit gefüllt. Die Forscher führten die Mutation auf das Gen abcg5 zurück, das ein Protein produziert, das eine Rolle dabei spielt, die Zellwand wasserdicht zu machen, damit die Luftkanäle der Pflanze wasserdicht sind.

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Die Forscher begannen dann mit einem weiteren Experiment. Sie füllten auch die interzellulären Luftwege der nicht mutierten Pflanzen mit Wasser, um zu sehen, ob dies ihr Wachstum beeinflusste. Wie die Mutanten hatten auch diese Pflanzen Schwierigkeiten zu erkennen, woher das Licht kam. "Wir haben gesehen, dass diese Pflanzen genetisch normal sind", sagte Legris. "Das Einzige, was ihnen fehlte, waren Luftkanäle."

Die Forscher schlossen daraus, dass sich die Pflanze durch einen Mechanismus, der auf dem Phänomen der Lichtbrechung beruht, an der Richtung der Lichtquelle orientiert.

Mit anderen Worten: Sie macht sich die Eigenschaft des Lichts zunutze, seine Richtung zu ändern, wenn es verschiedene Medien durchläuft.

Aufgrund der Lichtbrechung, so erklärt Legris, wird das Licht im Falle einer normalen Milchpflanze innerhalb des Stängels gestreut: Jedes Mal, wenn es die Pflanzenzellen, die hauptsächlich aus Wasser bestehen, und dann einen Luftkanal passiert, ändert es seine Richtung. Da ein Teil des Lichts bei diesem Prozess die Richtung ändert, erzeugen die Luftkanäle einen starken Lichtgradienten entlang der verschiedenen Zellen, den die Pflanze nutzen kann, um die Hauptrichtung des Lichts zu bestimmen und entsprechend zu wachsen.

Wenn sich die Luftkanäle mit Wasser füllen, wird die Streuung des Lichts hingegen verringert. Pflanzenzellen brechen das Licht auf ähnliche Weise wie überflutete Kanäle, da sie viel Wasser enthalten. Statt zu streuen, dringt das Licht praktisch geradewegs durch die Zellen und durch die gefluteten Kanäle in die tieferen Schichten des Gewebes vor, wodurch der Lichtgradient verringert und der Pflanze die Fähigkeit genommen wird, Unterschiede in der Lichtintensität zu erkennen.

Das Licht sehen

Die Forschung legt nahe, dass die Luftkanäle eine entscheidende Rolle dabei spielen, dass junge Pflanzen dem Licht folgen können. Roger Hangarter, Pflanzenbiologe an der Universität Indiana, der nicht an den neuen Forschungsarbeiten beteiligt war, zeigte sich erfreut über die clevere Lösung, die das Team für ein seit langem bestehendes Problem gefunden hat. Der Experte fügte hinzu, dass in den 1980er Jahren auch Forscher der Universität York auf die Möglichkeit einer Schlüsselrolle der Luftkanäle hingewiesen hatten, dass ihnen aber die finanziellen Mittel fehlten, um ihre Theorie zu testen.

"Es war uns immer ein Rätsel, wie diese winzigen, winzigen - fast durchsichtigen - Kanäle ein Gefälle wahrnehmen können", sagt Hangarter. "Aber wir haben der Idee der Luftkanäle nie viel Glauben geschenkt, weil wir mit der Suche nach den beteiligten Molekülen beschäftigt waren. Wenn man einen Forschungspfad betritt, neigt man dazu, sich Scheuklappen wachsen zu lassen."

Der Mechanismus der Luftröhre hat also eine weitere geniale Art und Weise aufgedeckt, mit der Pflanzen das Licht steuern. Hangarter hat zum Beispiel in seiner eigenen Forschung gezeigt, dass Chloroplasten - die Zellorganellen, die die Photosynthese durchführen - sich aktiv in den Blattzellen bewegen, um den Weg des Lichts zu manipulieren. Manchmal sammeln sich die Organellen im Zentrum der Zelle, um schwaches Licht zu "absorbieren", und manchmal wandern sie an die Ränder, um stärkeres Licht tiefer ins Pflanzengewebe zu leiten.

Wie lange die Luftkanäle diese Rolle gespielt haben, ist noch nicht klar. In den Fossilien primitiver Landpflanzen aus der Zeit vor 400 Millionen Jahren sind keine Wurzeln oder Blätter erhalten, aber in den Samenhüllen alter Pflanzen sind recht große interzelluläre Lufträume sichtbar. Diese könnten anfangs eine primäre Rolle bei der Gewebeatmung gespielt haben, sagt Fankhauser, und sich dann allmählich an ihre Rolle beim Phototropismus angepasst haben. Oder die Pflanzen haben die Lufträume in den Stängeln entwickelt, um das Licht besser wahrnehmen zu können, und dann haben die Kanäle andere Funktionen übernommen.

Laut Fankhauser könnten solche Erkenntnisse endlich dazu beitragen, die Ansicht von Aristoteles zu durchbrechen, die unser Verständnis von Pflanzen immer noch stark prägt. "Die meisten Menschen denken, dass Pflanzen sehr passive Organismen sind - sie können nichts vorhersehen, sie ertragen einfach, was mit ihnen geschieht", sagt der Forscher. In Wirklichkeit kommt diese vermeintliche Passivität daher, dass wir unsere eigenen Erfahrungen auf die Pflanzen projizieren. Wir glauben zum Beispiel, dass wir Augen brauchen, um zu sehen.

Aber Pflanzen scheinen eine Methode entwickelt zu haben, mit ihrem ganzen Körper zu sehen.

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